Der Peipsi See

Im Nordosten Estlands entlang des Peipsi See, mit direktem Blick auf Russland. Wir werden von den Alt-Gläubigen abgezockt. Und was uns entlang des Wegesrandes in Estland so auffällt.

Der Peipsi See ist der 5. grösste Europas, nach zwei russischen, einem finnischen und einem schwedischen See. Er bildet die natürliche Grenzen zwischen Estland und Russland. Ursprünglich hatten wir geplant, im Norden des Sees – in Narva – über die Grenze zu fahren, und St. Petersburg zu besuchen, das nur 160 Kilometer entfernt ist. Der Russland / Ukraine Konflikt hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwar würden wir ein Visum bekommen, und auch Rubel kann man problemlos im Baltikum umtauschen, aber wir trauen uns dann doch nicht. Schade. So stehen wir mehrfach auf der estnischen Seite des Sees, und schauen wehmütig auf Russland rüber.

Also cruisen wir entlang der estnischen westlichen Seite des Peipsi Sees, der immerhin 143 Kilometer lang ist. Es geht entlang der Zwiebel-Route! Alle 100 Meter steht eine Babuschka und verkauft Zwiebeln, Knoblauch und Tomaten. Straßen-Stände ohne Ende, teils verkaufen sie auch Klamotten und sogar Haushaltsgeräte sehen wir. Die ganze Gegend ist eine Mischung aus Sowjetunion und Moderne. Holzhäuser und Plattenbauten. Abgeblätterter Putz und neu gestrichen. Grauer Kommunismus und buntes 21. Jahrhundert. Viele ältere Damen, Babuschkas. Erst ein wenig grimmig drein schauend, lächelt man sie jedoch freundlich an, heben sich auch ihre Mundwinkel. Wie man in den Wald hineinruft!

Kohvid Kuld Fatum OÜ. Was?

Es ist mal wieder Lunch Zeit. Dank Google Maps finden wir ein richtig skurriles Russisch Aserbaidschanisches Buffet Restaurant. Draußen kein Schild, ohne Google wären wir vorbei gefahren. All-you-can-eat für 7 Euro. Dazu eine Estragon (!) Limonade aus Aserbaidschan für 2.50 Euro. Bierbank Garnitur neben Wohnzimmer Ledersofa, neben mit rotem Samt bezogenen Dinner Stühlen. Das passt für meinen Geschmack so wenig zusammen, das es schon wieder ein perfektes Arrangement ist. Wir empfehlen “Kohvik Kuld Fatum OÜ” am Rande von Mustvee am Peipsi See aus vollem Herzen, es war ein echtes Erlebnis.

Und dann besuchen wir Schloß Balmoral von Estland!

Kurz nach der Zwiebel Route, mitten in einem kleinen Ort, steht ein schneeweißes Dornröschen Schloß: Alatskivi! gebaut in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und angelehnt an den Baustil von Balmoral in Schottland. Ist das nicht spannend?! Wie war Estland vor fast 200 Jahren? Vielleicht gar nicht so unähnlich wie heute?! Jedenfalls ging das Schloß durch mehrere Hände, war Schule, Militärbasis, in städtischer Hand, privatisiert Anfang der 1990er, enteignet wegen nicht-Erfüllung der Auflagen, und zurück in städtischer Obhut. Mittlerweile renoviert und modernisiert. Sehr interessant zu besichtigen, besonders das Untergeschoss mit den Wachsfiguren, die den ehemaligen Bewohnern lebensecht nachgebaut sind. Mich hat es fast ein wenig gegruselt, so echt sehen die Wachs-Puppen aus, man denkt sie bewegen sich gleich. Ich war auch noch alleine im Untergeschoss unterwegs, umso schauriger war es. Schnell wieder die Treppe hoch, und die boudoir’s besichtigen.

Das Schloß ist auch eine Besichtigung wert, da man sowohl auf einigen alten Stühlen noch Platz nehmen darf, und sogar auf dem Klavier spielen darf. Und Hund Rocky durfte auch mit rein! Wo in West-Europa alles mit Kordeln und Plastik-Scheiben abgetrennt ist, ist in Estland noch alles offen. Auch die weitläufigen Parklandschaften sind sehenswert, und laden zum Spaziergang ein. Eintritt 8 Euro pro Person.

Die Alt-Gläubigen sind geschäftstüchtig!

Es geht weiter südlich am See entlang, wir besuchen die Dörfer der Alt-Gläubigen Kolkja und Varnja. Das ist spannend anzusehen, irgendetwas zwischen Verfall und zugewuchert, und Museum. Die meisten Menschen sind alt (und wohl gläubig, wie die Gegend ja sagt). Die Zeit ist hier stehen geblieben, hat es den Anschein. Ein sehr alter Friedhof, und gähnende, vor sich hin schlurfende wenige Menschen am Straßenrand.

Beim kurzen Spaziergang durch den Ort kommt jedoch gleich die ortsansässige Babuschka, und macht geschäftstüchtig auf ihren Straßenstand aufmerksam. Natürlich kaufen wir ihr was ab. Gurken. Johannisbeeren. Und Knoblauch. Alles zusammen für 7 Euro. Hüstel. Nun gut. Ist wahrscheinlich geweiht, oder gar heilig. Wir bezahlen die heiligen Gurken und geweihten Johannisbeeren und buchen es ab unter “Museumseintritt”.

Podmotsa

Und dann kommen wir ganz in den Süden des Peipsi Sees und besuchen Podmotsa. 5 Kilometer Schotterstraße bringen uns an diesen südlichen Ort, von dem aus man Russland zum Greifen nah sieht. Schade schade schade. Wir hätten Russland gerne besucht.

 

Schnipsel aus Estland – was uns am Wegesrand und auf unserer Tour auffällt

Die Esten bunkern Holz für den Winter. Vor beinahe jedem Haus sehen wir riesige Holzstämme, Holzstapel – garantiert die Vorbereitung für die kommende kältere Jahreszeit. Hier heizen also die meisten mit Holz? Tja, wen interessiert schon die Erderwärmung wenn es mir selbst kalt wird.

Expats in Estland

Mehr als einmal sehen wir eine halb verfallenen Bauernhof, und davor parkt ein neuer glänzender Audi. Auch Porsche Cayenne ist in Estland beliebt. Überhaupt sehen wir meistens neue teure westliche gepflegte Autos. Woher kommt das Geld? Diese Frage beantwortet uns Christoph, mit dem wir abends auf dem Stellplatz auf seinem Hof in Viitina zusammen sitzen: Programmierer! Internet Spezialisten! Davon gibt es viele in Estland, die auf dem Land wohnen und sich mit ihrem guten Verdienst ein Prestige Auto kaufen. Aha! Der aktuelle Benzinpreis ist 1,74 Euro pro Diesel Liter, das sind 15cent weniger als letzte Woche, keine Ahnung warum der Preis gesunken ist.

Die letzte Ruhe

Friedhöfe sind ein Thema. Es gibt viele am Wegesrand. Die meisten schön geschmückt, aber die alten vergilbten angelaufenen Kreuze weisen auf das Alter des Ortes hin. Auf vielen Friedhofen steht vor jedem Grab eine Bank oder ein Stuhl. Wer sitzt dort? Die Trauernden? Oder sollen die verstorbenen Seelen Ruhe auf der Bank finden? Auch das beantwortet uns Christoph: die Esten sind sehr gläubig, und verbringen viel Zeit auf Friedhöfen. Daher die Sitzgelegenheiten. Wer stundenlang auf dem Friedhof ist, Blumen pflanzt, Kerzen aufstellt, das Grab pflegt, der sitzt gerne mal. Andere Länder, andere Sitten.

Ordnung muss sein

Süd-Estland ist wenig besiedelt. Ein Ort hat durchschnittlich vielleicht 15 Häuser, Menschen sieht man wenig. Aber die Häuser sehen ordentlich aus. Die Gärten sind gepflegt. Der Rasen ist gemäht, noch nirgendwo haben wir soviel Rasen-Roboter mähen gesehen. Die Blumen blühen bunt und fröhlich. Esten sind eine saubere und gepflegte Nation! Kein Müll am Straßenrand, Mülltrennung wird groß geschrieben.

Das Mutterland des WiFi

Wir sind super glücklich mit dem Internet. Unlimited data für 10 Tage = 10 Euro. Funktioniert überall, auch in entlegenen Buchten. In Innenstädten überall freies Internet, kein einloggen, nichts. Einfach nutzen. Überall gibt’s Internet Schilder. Danke sehr.

Natur pur

Estland hat Land ohne Ende. Endlose Wälder. Ein Land mit nur 1,2 Millionen Einwohnern, und einer Größe von Dänemark. Da bleibt viel Platz für Natur.

Kulinarische Tradition – Fehlanzeige

Wir sind immer noch auf der Suche nach einer Oma, mit der René kochen kann. Wir erfahren jedoch von Christoph, das es “das” spezielle estnische Gericht nicht gibt. Das estnische Essen ist sowohl Russisch als auch Deutsch geprägt, aber großes Interesse am Kochen hätten die Esten sowieso nicht. Die Wälder sind zwar voller Elche, Hirsche, Rehe, Bieber und anderen Wild-Tieren, damit wird aber nichts gemacht. ‘Das Restaurant in Tallinn Olde Hansa, das Bär auf der Speisekarte hatte, sei eine reine Touristen Attraktion’, sagt Christoph.

Ein Resumee

Rene zieht ein kurzes Resümee der drei baltischen Länder: Litauen, das südlichste Land, ist polnisch angehaucht. Estland, im Norden, hat den finnisch / skandinavischen Einschlag. Lettland, in der Mitte ist eine Mischung von beidem. Die vielen Kebab Shops in Litauen werden nach Norden hin immer weniger. Kebab ist in Estland – zum Glück – noch nicht überall angekommen.

Für uns geht es nun langsam Richtung Süden, da wir Anfang September wieder zu Hause in Spanien sein müssen. Wir fahren durchs Landesinnere von Estland, hier Stellplätze zu finden ist schwierig. Wie wir mit Glück bei Christoph landen, und was Christof noch so alles spannendes vom Leben in Estland erzählt, davon lest ihr im nächsten Artikel.

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Sabine von Reth
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