Verhaftung! Folter! Exekution! Die Vergangenheit der Sowjets im KGB Museum ist schaurig.
Die Weinprobe in Sabile ist sehr süß.
Die Restaurants in Riga sind erschreckend.
Und das Wetter? Ach, das Wetter…. Seufzzzz……
Sabile
Bye bye Usma, du wunderschöne Landschaft am See. Leider war das Wetter wieder arg durchwachsen, so das wir unseren Aufenthalt nicht verlängern. Schade. Es geht weiter, aber nicht allzu weit, nur 50 Kilometer: nach Sabile.
Sabile Wine Hill is unique, because it has been registered in Guinness Book of World Records as the most northern commercial open-air vineyard in the world.
Angeblich ist Sabile im Guiness Buch der Rekorde gelistet, ich konnte jedoch trotz eingehender Recherche darüber nichts finden. Vielleicht ein Wein-seliges Märchen, das man sich auf dem lettischen Land gerne erzählt – wer weiß das schon!? Ist auch egal, denn Sabile ist ein entzückendes Örtchen mit – in der Tat – Weinanbau. René hat den Stellplatz bei einem Winzer Bauernhof durch Zufall auf der App Park4Night gefunden.
Weinanbau in Lettland
Auf dem Bauernhof Drubazas können wir mit unserem Wohnmobil herrlich am Fluss übernachten, direkt neben dem Weinberg. Hier wird schon seit der Ordenszeit im 16. Jahrhundert Wein angebaut, während der Sowjetzeit allerdings nicht – klar, die saufen ja nur Vodka. 1990, nachdem Lettland erneut unabhängig war, wurde der Weinanbau sofort wieder aufgenommen. Für insider: Der Weinberg hat eine Höhe von 33,7 m (115 m Seehoehe) und eine Gesamtanbaufläche von 1,5 Hektar Rebfläche. Jährlich findet im Juli ein Weinfest statt, zudem Weinbauern aus gesamt Lettland anreisen und ihre Erzeugnisse präsentieren. Dieses Weinfest verpassen wir um nur drei Tage, was zwar ein bisschen ärgerlich ist, aber die Entschädigung kommt sofort: eine Weinprobe!
Uns wird eine Weinprobe an frühen Abend angeboten! Wer kann dazu schon nein sagen. Der Jungbauer präsentiert selbst seine Erzeugnisse und souffliert uns durch sein Sortiment. Es gibt hauptsächlich halb-trockene und süße Beeren-Weine, das mögen die Letten am liebsten (wir erinnern uns an das riesige Supermarkt Sortiment der süßen Teilchen). Kirsch-Wein. Stachelbeer-Wein. Johannisbeer-Wein. Sogar Kürbis-Wein probierte ich (ich warte bis heute, das sich der Geschmack entfaltet – das soll wohl ein wenig dauern). Mein Favorit ist der Rhabarber-Wein! René schüttelt es, er hasst Rhabarber. Wir kaufen eine Flasche Weißwein und einmal Rhabarber für 15 Euro das Stück, eine nette Erinnerung an eine super tollen Stellplatz, an dem wir abends noch ein Feuer in der Hütte machen, kochen und den langen ruhigen Fluss beobachten. So hatten wir uns die Tour im Baltikum vorgestellt, einsame Stellplätze in idyllischer Landschaft mit Feuerstelle. Das wir jedoch Feuer machen, um uns in der Hütte aufzuwärmen, war nicht der Plan. Wir dachten eher romantisch.
Doch: Leider leider und schon wieder ist das Wetter so schlecht, das wir auch hier nicht länger bleiben, sondern am nächsten morgen bei 16 Grad nach Riga aufbrechen. 100 Kilometer, 1,5 Stunden Fahrt – entspannt.
Riga, die Hauptstadt Lettlands…
… hat 630.000 Einwohner und die ist größte Stadt im Baltikum.
Die Altstadt an sich ist hübsch, schön renovierte Häuser, viel Kopfsteinpflaster und viele bunte Blumen, das macht es sehr ansprechend. Wir sehen das man problemlos russische Rubel in Wechselstuben umtauschen kann, als wir umher spazieren. Ein Stadtrundgang mit unserem spanischen Wasserhund RockY, der nur Strand-Spaziergänge kennt, ist mal wieder etwas anstrengend – für alle Beteiligten. RockY hat soviel zu schnuppern, das wir kaum voran kommen. Immerhin ist die Altstadt autofrei, so das er kein Motoren-Trauma erleidet wie in Klaipeda, als er auf einer stark befahrenen Straße eine Sitz-Blockade startete. Wir kürzen trotzdem den Rundgang ab, haben sowieso Hunger und suchen ein Restaurant. Ach! Du! Liebe! Zeit!
Restaurants in Riga s Altstadt
Das Speisenangebot entsetzt uns. Alle Restaurants servieren das gleiche, und zwar “Burger – Pizza – Sushi – Pasta – Steak”. Seit jeher meiden wir Restaurants, die sich nicht spezialisiert haben, die ‘von allem etwas anbieten’. Das kann nicht schmecken, das ist immer frittierter Einheitsbrei. Überall gibt’s Bier, und Aperol Spritz scheint das neustes Getränk der Saison zu sein, so wie es beworben wird. Über eine halbe Stunde laufen wir genervt und hungrig durch Rigas Altstadt, bis wir endlich ein Restaurant finden, das sich spezialisiert hat: Russisch! Wir gehen also russisch essen. Als Aperitif aufs Haus gibt’s erstmal einen Vodka! Und zwar cranberry Vodka. Super lecker. Wir essen die traditionelle Suppe Borscht, gefüllte Teigtaschen und Beef.
Da es schon wieder regnet gehe ich erstmal zum Frisör und ins Nagel-Studio. Ein bisschen Beauty ist nötig nach einem Monat Camperleben. Frisch geföhnt und mit Tippi-toppi lackierten Fingernägeln starten wir in den nächsten Tag, und blicken in die Abgründe der Geschichte und des menschlichen Handelns.
Reisen bedeutet Grenzen zu überschreiten, auch die eigenen.
Wohnmobil Leben
Gruseln im KGB Museum
Und dann wird es zum ersten Mal richtig gruselig auf unserer Tour: ich besichtige das KGB Museum. KGB = Komitee fur Staatssicherheit, der Geheimdienst der UDSSR, der Gegenspieler der amerikanischen CIA.
Das lettische Hauptquartier des KGB war in einem Eckhaus in Riga von 1940-41, und von 1945 bis 1991. Bis 1991! Ich erinnere mich, da tanzte ich durch Frankfurts Discotheken. Und dann besuche ich ein Museum, in dem zur gleichen Zeit alles erdenklich schreckliche stattfand: Verhaftungen. Folter. Exekutionen.
All das geschah in dem Eckhaus in Riga, das vor über 100 Jahren als normales Wohnhaus gebaut wurde. Warum hat der KGB beschlossen, ausgerechnet dieses Gebäude als lettischen Hauptsitz zu benutzen? Weil es über 3 Keller verfügt, also 3 Stockwerke nach unten geht. Von dort hörte man die Schreie nicht, und es konnte niemand entkommen. Tatsächlich ist nie jemand aus Gefängnis entkommen. Das erzählt Victoria, der Tourguide.
Eine Führung kostet 10 Euro, diese habe ich gebucht. Victoria, eine engagierte junge Frau, bringt uns das Grauen nahe, als sie uns durch die einzelnen Räume führt.
“Hier ist die Rezeption. Jeder wurde registriert, komplett nackt ausgezogen, in allen Körperöffnungen nach Waffen durchsucht, und dann in die Zellen gebracht”.
“Hier ist eine der Zellen. Kein Tageslicht. Keine Lüftung. Dauerhaftes Elektro-Licht. Ein Eimer in der Ecke als Klo”.
“Im Flur vor den Zellen lag ein langer roter Teppich. Warum? Um die Schritte der Wärter zu dämpfen und: weil man auf rot das Blut nicht so sieht”.
“Hier ist ein Verhörraum, der Tisch und der Schlagstock sind noch original”.
“Hier ist die Küche. Es gab meistens Fischsuppe. Teller und Töpfe wurden nie gespült, warum auch?!”
“Hier ist der Exekutionsraum. Die Wand war mit Plastik abgehängt, das ist einfach zu reinigen. Die Einschusslöcher sind noch original, nur das Blut ist verblasst”.
Alter Falter, wo bin ich hier?
Tatsächlich ist das ganze Museum erschreckend original belassen worden. Ich stehe vor einer GlassVitrine, die Bücher von Anfang der 80er Jahre enthält. Garantiert echte Dokumente, so verranzt und vergilbt wie die Bücher aussehen. Die Vitrine ist lediglich mit einem dünnen Drahtseil zugebunden, ich überlege kurz den Draht zu lösen (mache ich natürlich nicht). Die Tapete. Der Boden. Die Türen. Alles original. Die Ketten, mit denen die Zelltüren verschlossen waren – original.
Der Zahn der Zeit nagt an dem Gebäude und den Räumen. Ich frage mich wie lange es noch im Originalzustand besichtigt werden kann, bevor die Decke runterkommt.
Am Ende der Tour entlässt uns Victoria mit den Worten “Demokratie ist nicht selbstverständlich. Schätzt was ihr habt!”. Sehr weise Worte, wie ich finde. Mit Gänsehaut stehe ich nach 1,5 Stunden wieder auf der Straße, und bin froh über Sonne, Freiheit und Unabhängigkeit.
Ohne Grenzen und Kontrollen von Spanien bis Estland
Am Nachmittag verlassen wir Riga gen Norden, entlang der Ostseeküste auf einer erneut gut ausgebauten schnurgeraden von Wäldern rechts und links gesäumten Landstraße. Tempomat rein, und lenken. Wir hören den Kicker Podcast gegen die Langeweile. Es geht weiter nach Estland. Wir sind nun in 5 Wochen von Süd-Spanien bis Estland gefahren ohne eine einzige Grenz- oder Passkontrolle. Weder Mensch, noch Hunde-Impfpass Kontrolle. Durch Spanien. Frankreich. Schweiz. Deutschland. Polen. Litauen. Lettland. Estland. Freies Fahren. Schengen sei Dank. Ausser in Frankreich (80 Euro Maut) und der Schweiz (Vignette 40 Euro) haben wir nirgends fur die Straßenbenutzung bezahlt. Benzinpreise schwanken von 1,60 Euro in Polen, bis über 2 Euro in Deutschland. Lebenshaltungskosten sind auch in Polen am günstigsten.
Lettland hat uns gut gefallen, wir fanden auch die Bevölkerung freundlich und aufgeschlossen. Obwohl sie selbst von sich sagen, anfänglich gegenüber Fremden reserviert zu sein. Können wir nicht unbedingt bestätigen.
Was erwartet uns in Estland, dem Land mit nur 1,2 Millionen Einwohnern? Erster Stop Pärnu, die Sommer-Hauptstadt des Landes. Dann wollen wir weiter auf die Insel Saaremaa, und auf die Nachbarinsel mit dem Ort Muhu (ist das nicht ein toller Ortsname!). In Tallin gibt es ein weiteres KGB Museum, und an der Grenze zu Russland beginnt der Peipu See. Wir sind gespannt.